Bestattungsmoden
von F. J. Wetz
Heute werden mehr als dreißig Bestattungsarten praktiziert, die alle als vereinbar mit dem Achtungsanspruch des toten Körpers gelten. Außer dem konventionellen Erdbegräbnis im Sarg und der Aschebestattung in der Urne auf dem Friedhof gibt es die Möglichkeit, die eigene Asche in einer biologisch abbaubaren Urne in einem Friedwald oder Ruheforst beisetzen zu lassen. Daneben kann man außerhalb von Deutschland seine Asche in den Weltraum schießen oder auf einer Almwiese, über einem Waldstück sowie auf hohen Bergen vom Matterhorn bis zum Mount Everest verstreuen lassen. Darüber hinaus gibt es das Angebot der Luftbeisetzung von einem Ballon aus, der Seebestattung oder Ascheverstreuung im Fußballstadion für Fans, Spieler und Funktionäre, wie etwa in Großbritannien und Spanien.
Bereits die aufgezählten Beispiele der neuen Bestattungsvielfalt machen deutlich, dass das Recht auf Selbstbestimmung heute nicht nur bis zum Tod, sondern noch darüber hinaus in Anspruch genommen wird.
Immer mehr Menschen ergreifen die Gelegenheit, durch die Wahl einer bestimmten Beisetzungsart mit speziellem Programm ihre Bestattung nach eigenen Vorstellungen durchführen zu lassen. Diese Pluralisierung spiegelt nicht nur den modernen Individualismus wider, der den Entscheidungs- und Handlungsspielraum des autonomen Einzelnen bis in den postmortalen Bereich ausdehnt, sondern auch die Erosion der traditionellen Religions- und Kirchenbindung. Insbesondere in Großstädten werden immer mehr kirchliche Trauerzeremonien aufgegeben zugunsten individuell arrangierter Trauerfeiern, für deren Gestaltung die Toten zu Lebzeiten selbst Vorsorge trafen. Der Ablösung alter, kirchlicher Trauerrituale durch neue, patchworkartig zusammengestellte Trauerzeremonien entsprechen die zahlreichen Bestattungsformen.
Viele Zeitgenossen haben ziemlich klare Vorstellungen, wie nach dem Tod mit ihren körperlichen Überresten verfahren werden soll.
Nicht selten geben die entsprechenden Verfügungen detaillierte Anweisungen. Doch berechtigt ihr Selbstbestimmungsrecht nicht bloß hierzu, bei abnehmender Kirchenbindung muss der Einzelne auch immer mehr Vorsorgemaßnahmen treffen.
Aus dem Recht auf Selbstbestimmung ist eine Pflicht zur Selbstsorge geworden.
Aber so bereitwillig die Bürger den neuen Handlungsspielraum nutzen, sich um ihre letzte Ruhestätte selbst zu kümmern und aus der traditionellen Erinnerungskultur herauszutreten. Zugleich werden der individuellen Gestaltung vom Gesetzgeber klare Grenzen gezogen. So besteht hierzulande F r i e d h o f s z w a n g auch für Urnen, obwohl immer mehr Bürger wünschen, ihre Asche im heimischen Garten vergraben oder verstreuen lassen zu dürfen. Unabhängig von der Frage, ob eine solche Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts berechtigt ist, steht hinter dem Bürgeranliegen das profane Bedürfnis nach Kostenersparnis oder die unsinnige Sehnsucht nach Nähe zu den Angehörigen und umgekehrt. Diese Sehnsucht ist deshalb unsinnig, weil die sterblichen Überreste nicht die Anwesenheit des Toten signalisieren, sondern vielmehr dessen absolute Abwesenheit anzeigen.
Quelle: Text von F. J. Wetz